Charles T. Goodhill erblickte am 6.6.1888 in einem der ärmlich schmuddeligen Hinterzimmer des Pink Harbour im berüchtigten Londoner Stadtteil Whitechapel als Sohn der Prostituierten Molly Piper das Licht der Welt. Über den Herrn Papa schweigt sich Molly beharrlich aus, vielleicht hat sie aber auch nur den Überblick über ihre Freier verloren. Allerdings besucht sie fortan auffällig häufig mit ihrem Sohn Charles die St. Bonifazius Kirche des deutschen Pfarrer Fürchtegott Braun, welcher ihr moralische, wie wohl auch finanzielle Stütze zu sein scheint. Im zarten Alter von zwei Jahren wird Charles jedoch Waise, Mutter Molly verstirbt an der Schwindsucht und Pfarrer Braun verfällt dem Gin. Die Damen des Pink Harbour nehmen sich der Waise an und kümmern sich rührend um den kleinen Charly. Doch die Zeiten sind schlecht und Whitechapel nicht der richtige Ort für eine unbeschwerte Kindheit. Im Jahre 1891 ist ein deutscher Baron zu Gast im Pink Harbour. Er findet Gefallen an der Idee, den kleinen Charles seiner kinderlosen Frau Gemahlin mitzubringen und bietet den Damen an, sich zukünftig als Vormund um den Bub zu kümmern. Gegen eine gewisse „Schutzgebühr“ willigen die Damen ein und Baron Theodor von Gutenberg nimmt Charles mit nach Deutschland. Im Hause der „Von Gutenberg“ herscht ein strenges Regiment aber keine Not. Seit seinem 5 Lebensjahr „genießt“ Charles den in adligen Kreisen üblichen Privatuntericht in Natur- und Geisteswissenschaften und erlernt die Nationalsprachen sämtlicher europäischer Königshäuser. Stiefmutter Elisabeth nötigt ihren Ziehsohn Carl persönlich per Rohrstock ans Klavier und schickt ihn schließlich an die Kaiserliche Hofmusikschule Preußens. Mit zwanzig Jahren lauscht Charles zum ersten Mal auf einer Studienreise nach Paris den Klängen des argentinischen Tango, des vom Pabst verteufelten südamerikanischen Modetanzes, welcher sich gerade anschickt, die „Alte Welt“ zu erobern. Im Hause der „Von Gutenberg“ sind derartige Töne jedoch unter Androhung von Prügel nicht geduldet. Stiefmutter Elisabeth schwärmt für den kaiserlichen Walzer und Vater Theodor erwartet als Mann der Armee Marschmusik. Seinem Zutun ist es auch geschuldet, das Charles – nun zu Deutsch „Carl“ – in der Position des Armeemusikinspizienten unter Hurra-Rufen 1914 in Potsdam Quartier bezieht und in der sicheren Heimat Preußens den Großen Krieg unversehrt überlebt. Immer wieder zieht es ihn ins benachbarte Berlin, wo er ein ausschweifendes Doppelleben führt.
Im Jahre 1919 sterben kurz hintereinander Carl`s Stiefeltern. Da Elisabeth Zeit ihres Lebens ihrem Gatten keine leiblichen Kinder geschenkt hat, fällt das bescheidene Von Gutenbergsche Familienvermögen an den Ziehsohn Carl von Gutenberg. Zu Ehren seines Vaters nimmt er dessen Vornamen als seinen zweiten an, veräußert das Familienanwesen und zieht endgültig in den Moloch Berlin, wo er sich als britischer Pianist Charles Theodor Goodhill in der guten Berliner Gesellschaft herumtreibt. Er schreibt Auftragsarbeiten für die aufblühende Tonfilmindustrie und macht die Bekanntschaft Fritz Langs. Goodhill ist begeistert von dessen Idee der Manipulation à la Mabuse. Schon bald stößt er auf okkulte Kreise in der späteren Hauptstadt des Satans. Im Café Kerkau besucht er Schwarze Messen und nimmt an privaten, düsteren Zusammenkünften sektenartiger Geheimkulte teil. Er trifft Marian Dockerill – eine amerikanische Journalistin und Teufelsanbeterin – und erkennt schnell die finanziellen Möglichkeiten und Perspektiven dieser neuen Mode der Berliner Oberschicht. Er schreibt Musik für Ernst Schertel`s Traumbühne für somnambulen Tanz und beteiligt sich 1924 mit dem Rest des verbliebenen Familienvermögens an dem Vergnügungsetablissements Himmel & Hölle , Kurfürstendamm 237. In einem verborgenen Hinterzimmer etabliert Goodhill seinen eigenen okkulten Salon. Mit exzentrischen, teuflischen Tangos und düsteren, weillesken Songs hält er seinem Auditorium einen Spiegel der Gesellschaft vor. Es gelingt ihm, eine große Anhängerschaft um sich zu scharen. In der Zeit von 1928 – 1932 nimmt Goodhill zahlreiche Titel im Aufnahmestudio der ODEON Schallplattenwerke Berlin auf und gastiert mit seinem Orchester u.a. im Femina-Tanzpalast und im Eden Hotel. Hier kommt es am sog. Schwarzen Donnerstag 1929 zum Eklat. Die Berliner Zeitung schreibt:
„Tumult im Eden Hotel – Britischer Kapellmeister verhöhnt die oberen Zehntausend!“
Dort, wo die sog. „High Society Europas“ allabendlich Erholung und Zerstreuung sucht – im Tanzsaal des Eden Hotel – kam es gestern Nacht zu tumultartigen Szenen zwischen aufgebrachten Gästen und den Musikern. Kaum machte die Kunde von erdrutschartigem Kursverfall an der New Yorker Börse gerüchteweise die Runde, da trat der aus okkulten Kreisen bekannte Orchesterleiter Charles T. Goodhill mit einem bösartigen Grinsen an den Rand der Bühne und rief in den Saal: Seid Ihr sicher, Ihr könnt Eure Rechnung heute Nacht bezahlen? Erboster Widerspruch im Publikum machte sich Luft. Als Goodhill dann auch noch mehrere Bündel Geldnoten über den Gästen regnen ließ und seinen Titel „Seduced“ (zu deutsch: verführt Anm.: die Redaktion) anstimmt, mutiert die sonst so feine Gesellschaft zur wütenden Meute. Mit allen verfügbaren Gegenständen – Flaschen, Gläsern und kristallenen Aschenbechern – wurde die Bühne torpediert, während Goodhill unter höhnischem Lachen mitsamt Orchester durch den Bühnenausgang entschwand…Goodhill wird verhaftet und vorübergehend im Strafgefängnis Berlin Tegel inhaftiert. Es wird zunächst still um den Meister der Schweren Musik, jedoch im Hinterzimmer des Himmel & Hölle floriert das Goodhillsche Palais d`Enfer.
In der Nacht zum 20. April 1932 kommt Goodhill unter nie ganz geklärten Umständen ums Leben. Seine Leiche wird am darauffolgenden Morgen im Tiergarten inmitten eines Steinkreises, wie aufgebahrt und mit gekreuzten Armen auf dem Rücken, gefunden. Im Obduktionsbericht ist die Rede von „mehreren Stichwunden am ganzen Körper, die unweigerlich zum Tode geführt haben mussten.“ Die weiteren polizeilichen Untersuchungen erbrachten keine Ergebnisse und wurden am 31 Mai 1932 eingestellt. Charles T. Goodhill geriet, auch aufgrund des neuen Windes, der schon bald in Deutschland wehen sollte, in Vergessenheit…
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